„Was die Österreicher und die Deutschen trennt, ist die gemeinsame Sprache“ lautet ein oft zitiertes Bonmot, das fälschlicherweise Karl Kraus zugeschrieben und deswegen kein bisschen richtiger wird. Nichts verbindet uns mehr als die Sprache und im Kundenservice werden Österreicher und Deutsche daher sehr oft im gleichen Service Center bedient. Durch den Größenunterschied der Länder liegt es auf der Hand, dass die Mehrzahl dieser Services in Deutschland angesiedelt ist.
Ein wenig Wissen über Besonderheiten des österreichischen Sprachgebrauchs kann also für deutsche Serviceagents durchaus von Vorteil sein. Nicht um die dialektalen Besonderheiten geht es hier. Sie zu erlernen bedürfe wohl eines halben Lebens. Hier geht es nur um Hochdeutsch und ich möchte mich auf jene Fallgruben beschränken, die tatsächlich folgenschwere Missverständnisse inhaltlicher und emotionaler Natur hervorrufen können, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Kleinigkeiten wie „die“ oder „das Cola“, „Schweinebraten„ vs. „Schweinsbraten“ oder „Januar“ vs. „Jänner“ fallen da eher unter Lokalkolorit. Wir bemerken sie, sie machen die Kommunikation bunter, amüsieren bisweilen, behindern aber nicht im Mindesten die Verständigung. Die Fallstricke liegen anderswo, und ich hoffe, dass ich einige wichtige davon mit diesem Text ans Tageslicht bringen kann.
Die Österreicher und ihre Titel
Ja, es stimmt. In Österreich ist die Anrede mit Titel tatsächlich wesentlich gebräuchlicher als in Deutschland. Einer Frau Doktor die Promotion zu unterschlagen wird definitiv als Unhöflichkeit wahrgenommen. Auch den Herrn Diplomingenieur oder die Frau Magister sollten Sie mit Titel vor dem Namen ansprechen. Gewiss, nicht jedem oder jeder ist das wichtig, aber sicher ist sicher. Im Kundenservice kann als einfache Regel angewandt werden: wenn Ihr Kunde den Titel in den Kundendaten angegeben hat, sollten Sie ihn auch verwenden. Gegenderte Varianten wie Frau Dr.in oder Mag.a werden im Schriftverkehr zunehmend verwendet, den Weg in die gesprochene Sprache haben sie (noch) nicht gefunden.
Ein Titel reicht in der gesprochenen Sprache, und zwar der höchste bzw. derjenige, der dem Anlass entspricht. „Sehr geehrte Frau Mag. Dr.“ ist also im Schriftverkehr korrekt, gesprochen reicht der Doktor. Der Bürgermeister mit Doktortitel wird mit „Herr Bürgermeister“ angesprochen, wenn es um eine mit diesem Amt verbundene Sache geht, ruft er wegen seines privaten Handyvertrages an, passt „Herr Doktor“. Verfügt der Bürgermeister über keinen weiteren Titel, ist er auch in privaten Angelegenheiten der Herr Bürgermeister.
Im Schriftverkehr mit Personen im gehobenen öffentlichen Dienst gilt: zuerst der Amtstitel (Gemeinderat, Bürgermeister, Botschafter, Ministerialrat, Direktor, Bundesminister etc.), dann der Berufstitel (für besondere Verdienste verliehen – Kommerzialrat, Hofrat, Professor etc.), dann die akademischen Titel in aufsteigender Reihenfolge – z. B. DI Dr. Ein Beispiel: Herr Gruber ist Direktor (Amtstitel) einer Schule. Für besondere Verdienste wurde ihm der Berufstitel Hofrat verliehen und er besitzt die akademischen Grade Magister und Doktor. Hier lautet die schriftliche Anrede „Sehr geehrter Herr Dir. HR Mag. Dr. Gruber“. In der mündlichen Anrede wäre wohl „Herr Hofrat“ am passendsten, weil diese vom Bundespräsidenten verliehene hohe Auszeichnung die bereits zuvor besessenen Titel Direktor und Doktor übertrifft.
Den Bachelor und den Master führt man hinter dem Namen, in der gesprochenen Anrede werden sie nicht verwendet.
Über Adelstitel müssen Sie sich übrigens in Österreich nicht den Kopf zerbrechen. Sie zu führen ist seit 1919 gesetzlich verboten.
Grüß Gott
In Österreich und Bayern sagt man das. Nirgendwo sonst. Vor einigen Jahren habe ich in einem deutlich nördlich des Weißwurstäquators gelegenen Call Center miterlebt, dass die Agents angeleitet wurden, bei österreichischen und bayrischen Anruferkennungen am Display mit „Grüß Gott“ zu grüßen. Tun Sie’s nicht, bleiben Sie lieber authentisch.
Griaß di!
“Da ruft ein mir unbekannter Kunde aus Tirol am technischen Support an und sagt: “Griaß di, do isch dr Peter!” Wie soll ich denn da reagieren?“ fragte mich ein Seminarteilnehmer in Frankfurt. „Ignorieren Sie das Du-Wort.“, sagte ich. „Reagieren Sie höflich, selbstsicher und per Sie.“ Auch wenn die Du-Anrede im Urlaub auf der Skihütte die Regel und man im Westen Österreichs tatsächlich sehr schnell beim Du ist, wildfremde Menschen im beruflichen Kontext einfach ungefragt per Du anzusprechen ist nicht freundlich sondern eine subtile Methode, von Anfang an eine dominante Position in der Beziehung einzunehmen. Da müssen Sie nicht mitspielen. Wenn Sie gefragt werden, spricht allerdings nichts dagegen, das Du-Wort anzunehmen. Aber das entscheiden Sie.
Gehen – Laufen – Rennen
Erwachsene Österreicher pflegen im Alltag nicht zu laufen. Sie gehen. Außer es brennt. Oder sie joggen. „Laufen“ bedeutet in Österreich „rennen“. Wenn Sie also die Frage „Wie komme ich denn zur Toilette?“ einem österreichischen Fragesteller mit: „Laufen Sie den Korridor lang bis zum Ende und dann nach rechts!“ beantworten wird er sich denken, na so eilig habe ich es auch wieder nicht…
Sessel und Stühle
Vor Jahren habe ich die Bankettmanagerin eines Frankfurter Hotels bei einer gutbesuchten Veranstaltung gebeten, weitere 10 Sessel in den Seminarraum zu bringen und konnte nicht verstehen, warum sie diese Bitte dermaßen in Stress versetzte. Heute weiß ich es: ein einfaches, ungepolstertes Sitzmöbel heißt in Deutschland „Stuhl“. In Österreich sind „Stuhl“ und „Sessel“ gleichbedeutend. Die 10 Stühle, die ich wollte, waren natürlich kein Problem.
Berufsbezeichnungen
Diese sind in den beiden Ländern teils grundverschieden und deshalb empfehle ich spezialisierten Services, im eigenen Bereich genau zu recherchieren, um Missverständnisse zu vermeiden. Nur zwei Beispiele: Der Chefarzt ist in Österreich ein Mitarbeiter der Krankenversicherung, der Kontrollen der Verschreibungen oder des Krankenstandes vornimmt, entsprechend dem deutschen MDK oder Versicherungsmediziner. Der deutsche Chefarzt heißt in Österreich Primarius, die weibliche Form lautet Primaria. Der Inspektor ist in Deutschland ein Beamter im gehobenen Dienst. In Österreich ist das der niedrigste Dienstgrad eines Exekutivbeamten. Man erhält ihn nach Absolvierung der Grundausbildung. Grobe Missverständnisse können auf diesem Gebiet entstehen.
Maße, Gewichte
Wenn es um Lebensmittel geht, rechnen Österreicher gern in Dekagramm, kurz Deka. Ein Deka sind 10 Gramm. Das sollte man wissen, verwenden muss man es nicht. Eine Angabe in Gramm wird jeder Österreicher problemlos verstehen.
Anders sieht es mit dem Zentner aus. Für Österreicher sind das 100 Kilogramm, nicht 100 Pfund. Letzteres Maß – das Pfund – ist in Österreich gänzlich unbekannt. Meine Landsleute würden so etwas auf der Stelle in Euro umtauschen…
Fachsprachen
Innerhalb der berufsspezifischen Fachsprachen sind die Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland enorm. Falls Sie jemals ein österreichisches Kochbuch in Händen hatten, wird Ihnen das vielleicht anhand der Küchensprache aufgefallen sein: da werden Ribisel gebrockt, das Dampfl angesetzt, der Kren gerissen… Genauso ist es in so gut wie allen anderen professionellen Feldern, vom Installateur (Klempner) über den Fleischhacker (Metzger) bis zum Rauchfangkehrer (Schornsteinfeger) und ganz besonders in allen bürokratischen Berufsfeldern. Mit Ausnahme kürzlich entstandener, anglizismus-lastiger Branchen wie etwa der IT sind die sprachlichen Unterschiede enorm. Werkstücke, Werkzeuge und Handgriffe werden völlig unterschiedlich benannt. Wenn Sie also in einem B to B-Service mit klar abgegrenzter professioneller Zielgruppe tätig sind, hilft nur eins: Vokabeln strebern, pardon, büffeln.
PS: Hier die Übersetzung der Küchenbegriffe: Johannisbeeren gepflückt, Vorteig bereitet, Meerrettich gerieben.
Uhrzeiten
Die Uhrzeitenangaben sind innerösterreichisch wie innerdeutsch gleichermaßen ein Chaos, das beständig für Missverständnisse sorgt. Was in Wien und Berlin Viertel Zehn heißt, ist in Innsbruck wie Hannover Viertel nach Neun. In Linz sagt man Viertel über Neun … Es wird wohl noch ein paar Generationen dauern, bis wir uns da einigen können. Einstweilen hilft ein neutrales neun Uhr fünfzehn.
Buchstabieralphabet
Das deutsche (DIN) und das österreichische (ÖNORM) Buchstabieralphabet unterscheiden sich in den folgenden Punkten: Charlotte für CH wird in Österreich nicht verwendet, man sagt Cäsar Heinrich. Für Ö steht in Deutschland Ökonom, in Österreich – wenig überraschend – Österreich. Der deutsche Samuel ist in Österreich ein Siegfried, das Eszett heißt scharfes S, aus Übermut wird Übel, Xanthippe mutiert zu Xaver und Zacharias zu Zürich. Auslöser von Missverständnissen dürfte wohl nur die Bezeichnung Eszett sein, die in Österreich unbekannt ist und wörtlich als S und Z verstanden würde.
Die Höflichkeitsform im Plural
Hier ist der Sprachgebrauch spürbar im Umbruch. In der österreichischen Umgangssprache gibt es verstärkt die Tendenz, die Höflichkeitsform im Plural nicht zu verwenden und somit in der Servicekommunikation, wenn man als Kunde die Firma und nicht den Agent als Person anspricht „ihr“ statt „Sie“ zu verwenden. Das ist nicht durchgängig so und natürlich sind sich die Sprecher bewusst, dass das kein ganz korrektes Hochdeutsch ist.
Der Konjunktiv als Misstrauenssignal
„Sie sagte, dass sie heute in der Arbeit gewesen sei“ bedeutet für österreichische Ohren, dass die Aussage unglaubwürdig ist. Soll das nicht ausgedrückt werden, verwenden Österreicher hier im Gegensatz zu Deutschen statt dem „sei“ ein „ist“. Der Konjunktiv ist somit wohl eine der bestgetarnten und daher gefährlichsten Tretminen im Kreise der deutsch-österreichischen Missverständnisse.
Der Personalausweis
Wenn Sie als Serviceagent einem Österreicher so richtig Stress machen wollen, dann bitten Sie ihn einfach um eine Kopie seines Personalausweises. Kaum jemand hat nämlich einen. Anders als in Deutschland besteht in Österreich keine Ausweispflicht. Und wenn wir uns doch irgendwo ausweisen müssen, tun wir das mit einem beliebigen amtlichen Lichtbildausweis, beispielsweise dem Führerschein.
Und Tschüss…
Der norddeutsche Abschiedsgruß hat sich mittlerweile auch schon in die österreichische Umgangssprache eingeschlichen. Insbesondere junge Leute verwenden ihn zunehmend, aber immer nur unter guten Freunden oder Bekannten, mit denen man per Du ist. Ein Tschüss am Ende eines beruflichen, per Sie geführten Gespräches wirkt in Österreich vollkommen deplaziert. Aber natürlich ist uns bewusst, dass das in Deutschland so gebräuchlich ist. Ein freundliches Tschüss zum Abschied nehmen wir daher bestimmt niemandem übel 🙂